Kapitel 7

Braddon Chatwin wachte am nächsten Morgen mit einem angenehmen Gefühl der Vorfreude auf. Einen Moment lang starrte er verschlafen zu den blauen Stoffbahnen aus Chintz hinauf, die sein Bett schmückten. Er hatte in der Nacht einen wirren Traum von schwarzen Umhängen und falschen Bärten gehabt.

Dann kehrte die Erinnerung zurück. Lady Sophie York wollte durchbrennen und verlangte von ihm, dass er einen Umhang und einen Schnauzbart trug, und sie drohte, ihn nicht zu heiraten, wenn er nicht um Mitternacht bei ihr erschien. Mühsam versuchte Braddon, Sophies wirre Forderungen zu enträtseln.

Im kalten Tageslicht betrachtet war die Sache schlicht und ergreifend völlig verrückt, anders konnte man es beileibe nicht nennen. Wenn sie gemeinsam nach Gretna Green durchbrannten würden die Leute unzweifelhaft annehmen, dass sie die Hochzeitsnacht vor-weggenommen hatten. Aber der Gedanke liegt ihr völlig fern, schoss es Braddon selbstzufrieden durch den Kopf. Wohlerzogene junge Damen aus gutem Haus wussten gar nichts über Sex, und so ahnte Sophie natürlich nicht, was die Leute über ein Paar sagen würden, das miteinander durchgegangen war. Da es jedoch keinen Grund gab, warum Braddon und Sophie nicht in ungefähr vier Monaten ganz ehrbar in der Kirche von St. George heiraten sollten, würden die Leute natürlich Vermutungen anstellen, warum sie den Ehebund so übereilt geschlossen hatten. Es war ja schließlich keine Liebesheirat, oder so etwas.

Was den Grund anging, warum Sophie überhaupt durchbrennen wollte, so schob Braddon diese Frage gedanklich weit von sich. Er war schon vor langer Zeit zu der Überzeugung gelangt, dass es unmöglich war, die Frauen zu verstehen.

Er klingelte nach seiner heißen Schokolade und verschränkte dann die Arme hinter dem Kopf. Nun musste er einfach sein Talent für Streiche nutzen und sich einen Plan ausdenken, mit dem er seine zukünftige Frau hinters Licht führen konnte. Mit anderen Worten, er brauchte einen Plan, mit dem er ihren Streich durchkreuzen konnte. Denn um nichts in der Welt würde er so dumm sein und nach Schottland durchbrennen, wenn gar kein Grund dafür bestand.

Außerdem würde die Reise in den Norden mindestens zwei oder drei Tage dauern und das gleiche musste man noch für die Rückfahrt einkalkulieren. Wenn sie nicht noch länger benötigen würden. Du meine Güte, eine Reise nach Schottland im Dezember! Zugegeben, es war in diesem Jahr noch keine Schneeflocke gefallen, aber er sollte verdammt sein, wenn er Madeleine eine Woche alleine ließ. Und sei es auch nur für eine Woche. Nicht, wenn der bloße Gedanke an sie sein Herz schneller schlagen ließ und er am liebsten sofort aus dem Bett gesprungen und zu den Ställen ihres Vaters gefahren wäre, um einen Blick auf sie zu erhaschen.

Braddons Augen verdunkelten sich vor Ärger. Nicht, dass ihn Madeleine freudestrahlend begrüßte, wenn er dort ankam. Zu seinem großen Arger erwies sie sich als äußerst keusch. Er konnte keinerlei Anzeichen entdecken, dass sie angesichts seiner flehenden Briefen, seiner Geschenke (die sie nicht annahm) oder seiner anderen Bemühungen nachgeben und seine Geliebte werden würde. Sie hatte ihm einfach nur mitgeteilt, dass sie an dieser Position nicht interessiert sei und das war's. Er hatte ihr vergeblich erklärt, dass die Tochter des Besitzers von Vincent's Pferdemarkt nicht damit rechnen konnte, eine gute Partie zu machen oder überhaupt geheiratet zu werden.

Braddon kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe herum, als Kesgrave ihm seine heiße Schokolade reichte, die er jeden Morgen trank. Vielleicht machte sich Madeleine Sorgen um ihre Zukunft. Schließlich war die Stellung einer Kurtisane riskant und sie glaubte womöglich nicht, dass er ein so ungewöhnliches Verhalten im Sinn hatte. Vielleicht sollte er seinen Vermögensverwalter zu sich bestellen und einen Kontrakt aufsetzen lassen, mit dem er eine ordentliche Summe auf Madeleine übertrug. Dann würde sie verstehen, dass ihre Beziehung ewig währen würde, nicht nur eine kurze Weile.

Braddon nippte gedankenverloren an seiner Schokolade. Das wahre Problem bestand darin, Lady Sophie nach seiner Pfeife tanzen zu lassen, während es so aussah als würde er nach ihrer tanzen. Wenn er Sophie nun eine Absage zukommen ließe, würde sie die Verlobung ganz bestimmt lösen, dessen war er sich sicher. Braddon hatte schon einige hysterische Frauen erlebt, denn schließlich hatte er drei ältere Schwestern und Sophie machte auf ihn ganz den Eindruck, als stünde sie kurz davor, die Fassung zu verlieren. Nein, er musste um Mitternacht bei ihr erscheinen, ohne in Gretna Green zu enden.

Braddon schwang die Füße aus dem Bett. Er hätte nicht an Madeleine denken sollen. Nun würde er garantiert nichts zu Stande bringen, bevor er sie nicht sah und ihr vielleicht einen Kuss stahl, wenn ihr Vater gerade nicht hinsah.

Mein Gott, ihr Vater konnte so bissig werden wie die Bulldogge des Metzgers! So wie er sich ständig aufführte und behauptete, dass Braddon Madeleines Ruf ruiniere und ähnlichen Unsinn, konnte man meinen, seine Tochter sei tatsächlich eine Dame. Braddon konnte offensichtlich keinem von beiden begreiflich machen, dass Frauen, die über Pferdeställen lebten, gar keinen Ruf besaßen, sondern sich höchstens einen machten. Braddon lachte in sich hinein.

Als sein Diener Kesgrave kam, um ihm beim Ankleiden zu helfen, erzählte er ihm das Wortspiel, aber Kesgrave warf ihm nur den üblichen ausdruckslosen Blick zu und fragte: »Würden Sie heute gerne den blauen Cut tragen, Mylord?«

Braddon seufzte. Bei all den begriffsstutzigen Menschen um ihn herum war es ein Glück, dass er ein so ausgeglichener Kerl war.

»Ich werde den lausgrauen tragen, Kesgrave. Sie wissen, welchen ich meine.«

»Es heißt nicht lausgrau, Mylord«, korrigierte Kesgrave ihn, »sondern mausgrau.«

»Genau den meine ich. Ich werde ausreiten.«

»Vor dem Frühstück?«, fragte Kesgraves noch eine Spur vorwurfsvoller.

Verdammt, er hatte es langsam satt, Dienstboten um sich zu haben, die ihn schon als kleinen junge gekannt und herumkommandiert hatten.

»Ich reite aus«, platzte es gegen seinen Willen ein wenig trotzig heraus. Sobald er angekleidet war, schlich sich Braddon aus der. Haustür wie ein kleiner Junge, der sich in den Park davonmachte. Dann schwang er sich auf sein Pferd und trabte in Richtung Blackfriars, wo sich Vincent's Pferdemarkt befand.

In den lang gestreckten, niedrigen Stallgebäuden herrschte eine friedliche Ruhe. Es war viel zu früh für die kleinen Menschentrauben, die sich später am Tag unter den großen Eichen im Hof bildeten und unruhig zusahen, während die Stallburschen tänzelnde Araber und das eine oder andere kräftige Quarterhorse herausführten.

Braddon ließ sich schwerfällig vom Pferd gleiten und warf die Zügel einem Burschen zu, der sich vor dem Stall herumdrückte, in der Hoffnung, einen Shilling zu verdienen.

Dann schlenderte der Graf von Slaslow auf das Gebäude zu. Madeleine hielt sich wegen der lächerlichen Sorge ihres Vaters um ihren »Ruf« an den Nachmittagen fast nie in den Ställen auf. Aber eigentlich war Braddon ihm dankbar dafür, denn so musste er nicht mit jedem dahergelaufenen eleganten Offizier konkurrieren, der zufällig auf der Suche nach einer abgehalfterten Mähre hereinspazierte.

Braddon ging schnell die lange Stallgasse entlang. Es roch ein wenig nach klebrig-süßen Breiumschlägen, und wo es Umschläge gab, da war Madeleine gewöhnlich nicht weit. Sie war nämlich für die kleineren Verletzungen wie verstauchte Sprunggelenke und Vorderbeine zuständig.

Madeleine befand sich in der letzten Box auf der rechten Seite, wo sie vor dem angehobenen Vorderbein eines Pferdes auf dem Boden kniete. Sie musste Braddons polternde Schritte auf dem Steinboden gehört haben, aber sie blickte nicht auf, sondern redete sanft auf die braunäugige Stute ein, während sie ihr den Umschlag anlegte.

Braddon wartete einen Moment und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen.

»Mylord«, sagte Madeleine, ohne sich umzudrehen. »Wenn Sie nicht zu sehr beschäftigt sind, könnten Sie mir helfen und Gracies Kopf halten.«

»Woher wussten Sie, dass ich es bin?« Braddon trat an den Kopf des Pferdes und hinderte Gracie daran, Madeleine in den Nacken zu prusten.

Madeleine warf ihm einen Blick über die Schulter zu. »Sie erscheinen doch jeden Morgen uni diese Zeit hier, Mylord.«

»Hmmm.« Braddon war durch ihren sachlichen Ton ein wenig aus dem Konzept gebracht. Wünschte sich Madeleine nicht, dass er vorbeikam? Er ließ das Halfter des Pferdes los und ging neben ihr in die Hocke. Dabei gab er sich die größte Mühe, nicht vor Anstrengung zu schnaufen.

»Was ist denn mit ihr los?«

»Sie hat sich das rechte Vorderbein verstaucht«, antwortete Madeleine kurz angebunden.

Braddon warf einen flüchtigen Blick auf das Bein und rückte dann näher an Madeleine heran.

»Mylord!«

Sie ist zornig auf mich, dachte Braddon resigniert. Heute wird es wohl keine Küsse geben. Du meine Güte, hatte er sich etwa in eine französische Miss verliebt, die ein teuflisches Temperament und zugleich die Moral einer Nonne besaß? Sie war bei weitem nicht so schön wie Arabella, die Geliebte, die er Patrick im vergangenen Jahr ausgespannt hatte. Eine unbeteiligte Person würde sie sogar klein und rundlich nennen.

Aber beim bloßen Anblick Madeleines schlug Braddons Herz schneller. So wie sie vornübergebeugt dem Pferd das Vorderbein einrieb und seinem Blick auswich, konnte er die üppigen Kurven ihrer Brüste ausmachen, die zwischen ihren Armen zu sehen waren. In seinen Augen begann es zu funkeln, und es juckte ihn in den Fingern, seine Hand unter ihren Arm zu schieben.

»Nein!«

Erschrocken fuhr Braddons Kopf in die Höhe, und sein Blick begegnete dem ihren.

»Warum. nicht?«, fragte er beherzt.

Madeleine rappelte sich hoch und zog ihren steifen, dicken Rock zu Seite. Ihr französischer Akzent war stärker ausgeprägt, wie es immer geschah, wenn sie erzürnt war.

»Bitte versuchen Sie nicht, mich aus dem Konzert zu bringen.«

»Aus dem Konzert?«

Braddon war verwirrt und sein Mund stand ein wenig offen. Es war schwierig, seine Gedanken beieinander zu halten, wenn Madeleine mit ihrem wogenden Busen direkt vor ihm stand. Sie hatte solch üppige Hüften ...

Oh Sie meinen wohl aus dem Konzept bringen?«

»Das habe ich doch gesagt« erwiderte Madeleine ungeduldig. Was sollte sie nur mit diesem einfältigen Lord anstellen? Wie konnte sie vernünftig ihre Arbeit tun, wenn er ihr ständig durch die Ställe folgte, ihren Busen anstarrte und ihren Seelenfrieden störte?

In manchen Situationen funktionierte Braddons einfältiges Hirn recht gut. Er riss Madeleine so schnell in seine Arme, dass ihr keine Zeit blieb, nach ihrem Vater zu rufen, bevor sein Mund sich auf den ihren presste. Während des Kusses verließ Braddon gleichzeitig rückwärts Gracies Box und bewies damit, dass er sehr wohl zwei Dinge zugleich tun konnte, was einige seiner Freunde strikt bestritten hätten.

Gegen ihren Willen entspannte sich Madeleine. Das Leben hatte ihr in den vergangenen Jahren hart zugesetzt und es war ein himmlisches Gefühl, von Braddon umarmt zu werden. Wenn er sie hielt, dann hatte sie das Gefühl, als könne ihr nie wieder etwas Böses geschehen.

Sie rief sich zur Ordnung und versetzte Braddons Brust einen Stoß. Er flüsterte ihr etwas ins Ohr - ohne Zweifel wieder eines seiner hochtrabenden Versprechen -, aber sie begriff dennoch, worauf er hinauswollte. Ihr schafsköpfiger Freier war doch kein echter Freier. Er war das, was ihre Mama damals in Frankreich einen libertin genannt hätte. Er wollte sie ruinieren und nicht heiraten.

Braddons Arm stahl sich wieder um ihre Schultern.

»Schauen Sie nicht so traurig, Madeleine«, flüsterte er, aber sie hörte seine Worte dennoch klar und deutlich. »Ich hasse es, wenn Sie so traurig aussehen.«

Einen Moment lang verharrte Madeleine regungslos und blickte verwirrt in Braddons blaue Augen.

»Ich bin nicht traurig«, sagte sie. »Ich habe nur einen Moment lang an meine Mutter gedacht.«

»Sie sahen traurig aus«, beharrte Braddon.

»Ich vermisse sie«, rutschte es Madeleine unfreiwillig heraus. Sie wollte ihrem unmoralischen Verehrer auf keinen Fall ihre Gefühle offenbaren.

Braddon küsste sie aufs Ohr. »Eines Tages werden Sie selber Mutter sein, Madeleine. Sie werden Ihre eigenen Kinder haben, und dann werden Sie all das vergessen.«

Madeleine holte tief Luft.

,»Nicht, wenn Sie Ihren Willen durchsetzen«, wies sie ihn zurecht. »Sie wollen mich zu einer Kurtisane machen und solche Frauen bekommen niemals Kinder. Bei solch einem Lebenswandel wäre das gar nicht möglich.«

Braddon grinste. Es war ganz typisch für Madeleines unbeirrbaren, französischen Menschenverstand, dass sie ihn gleich auf diesen nachteiligen Umstand im Leben einer Mätresse aufmerksam machte.

»Wir werden Kinder haben«, sagte er voller Überzeugung. »Das wusste ich in dem Moment, als ich Sie sah. Ich wollte nie kleine Bälger um mich haben, bevor ich Sie traf.«

Madeleines Herz schmolz dahin. Dieser englische Lord war ganz nach ihrem Geschmack, wenn nur die Umstände anders wären. Er schien zwar nicht besonders helle zu sein, aber er besaß ein grundgutes Herz. Außerdem gab ihr seine kräftige Gestalt ein Gefühl der Sicherheit. Madeleine war der Meinung, dass Männer groß und kräftig sein sollten. Und sie könnte ihn davon abhalten, sich zu sehr zum Narren zu machen ... Aber nein. Sie würde niemals die Kurtisane eines Mannes werden, auch wenn sie ihr Leben lang unverheiratet bleiben musste.

Sie schob ihn von sich. »Bitte, gehen Sie weg!«

Braddon blickte Madeleine prüfend an und ihre Züge hatten tatsächlich wieder einen grimmigen Ausdruck angenommen.

»Ich muss vielleicht ein paar Tage verreisen.« Schien sie traurig darüber zu sein? Nein, Braddon konnte sich nicht vormachen, dass dem so war.

»Gut. Dann kann ich vielleicht endlich ungestört meine Arbeit tun.«

Nein, sie sah ganz bestimmt nicht traurig aus. Es entstand eine kleine Pause.

»Wo fahren Sie hin?«

»Ich muss durchbrennen«, sagte Braddon. »Das heißt, Lady Sophie möchte durchbrennen, ich nicht, also werde ich eine Leiter hinaufsteigen und sie entführen, aber ich werde nicht wirklich mit ihr nach Gretna Green reisen, weil ich gar nicht durchbrennen will. Außerdem brennt niemand mitten im Winter durch.«

Madeleines Herz begann schmerzhaft zu pochen. »Wünscht Lady Sophie ernsthaft eine Entführung?«

»Ja«, sagte Braddon, aber sein Ton verriet leise Zweifel. »Ich bin nicht sicher, ob sie als Ehefrau wirklich so geeignet ist, wie ich Ihnen zuvor erzählt habe. Gestern Abend war sie regelrecht hysterisch und teilte mir mit, dass si e mich nicht heiraten werde, wenn ich nicht um Mitternacht über eine Leiter in ihr Zimmer steige und mit ihr durchbrenne.«

Trotz der Traurigkeit, die sie ergriff, hätte Madeleine beim Anblick von Braddons jämmerlicher Miene fast laut gelacht.

»Ich kann nicht wieder von vorne anfangen, Madeleine - Maddie!« Es war ihm wieder gelungen seine langen Arme um sie zu schlingen. Den Mund an ihr Haar gepresst sprach er weiter. »Ich müsste wieder von vorne anfangen und ins Almack's gehen und ein Mädchen suchen, das halbwegs annehmbar erscheint. Ich darf Lady Sophie nicht ziehen lassen. Ich muss einfach einen Weg finden, um mit ihr durchzubrennen, ohne es tatsächlich zu tun.«

Zumindest scheint er keine tiefen Gefühle für seine zukünftige Frau zu hegen, dachte Madeleine gequält.

»Was haben Sie gegen eine Entführung einzuwenden?« Madeleine hielt es für eine annehmbare Alternative.

Braddon blickte empört in Madeleines mitleidlose braune Augen.

»Werden Sie mich denn nicht vermissen? Ich werde eine Woche bis Gretna Green und zurück brauchen, wenn wir nicht aufgehalten werden. Mein Gott, ich könnte zwei volle Wochen fort sein!«

»Ich werde Sie nicht vermissen«, erwiderte sie. »Und nach Ihrer Heirat werden Sie in den Ställen nicht mehr willkommen sein.«

»Nun, ich würde Sie vermissen«, sagte Braddon standhaft. »Und ich glaube Ihnen kein Wort. Ich glaube, Sie würden mich auch vermissen. Außerdem will ich mich so früh noch nicht vermählen.« Er presste Madeleine ein weiteres Mal an sich, ließ sich dann auf einen Strohhaufen sinken und zog sie auf seinen Schoß.

Sie protestierte zuerst, entspannte sich dann jedoch in seinen Armen. Braddon zog sie an seine Brust und genoss es, wie sich Madeleines weiche Rundungen an seine Beine schmiegten.

»Sie werden sich Ihre Kleidung ruinieren.«

»Meine praktische Maddie«, flüsterte Braddon in ihr Haar.

Die praktische Maddie hatte das Gefühl, als würde ihr jemand einen Dolch ins Herz stoßen.

»Warum tun Sie nicht so, als hätten Sie sich ein Bein gebrochen?« In dem Moment, in dem sie dies aussprach, verfluchte sie sich selber. Warum zeigte sie auch noch Interesse an seinen Heiratsplänen?

»Ein Bein brechen? Wie meinen Sie das?«

»Wenn Sie sich das Bein brechen, können Sie keine Leiter hinaufklettern«, erklärte sie schroff.

Braddon dachte gründlich darüber nach.

»Verdammt, Sie haben Recht, Maddie, Sie sind großartig! Ich werde Lady Sophie eine Nachricht schreiben und ihr mitteilen, dass ich mir ein Bein gebrochen habe. Das wird ihr Gelegenheit geben, sich ihre verrückte Idee aus dem Kopf zu schlagen.«

»War sie wirklich hysterisch?«

Er runzelte die Stirn. »Sie war nahe dran.«

»Nun, dann wird Sie Ihrer Nachricht wahrscheinlich keinen Glauben schenken«, sagte Madeleine. »Ich würde es jedenfalls nicht tun. Ich würde annehmen, dass Sie nur versuchen, sich zu drücken und zu spießig sind, mit mir durchzubrennen.«

Entsetzt lauschte sie ihren eigenen Worten. War da ein Anflug von Erbitterung in ihrer Stimme? Sie durfte nicht einmal flüchtig daran denken, einen Grafen des englischen Königreichs zu heiraten! Mein Gott, es war offensichtlich, dass ihm nicht einmal die Idee gekommen war, sie, Maddie, zu heiraten.

»Sie glauben, Lady Sophie würde meiner Nachricht nicht glauben?«

»Sie könnte die Verlobung mit Ihnen lösen.«

Madeleine ignorierte die leise Stimme in ihrem Herzen, die beim Gedanken an eine gelöste Verlobung jubilierte.

»Glauben Sie wirklich?«, fragte Braddon mit offensichtlichem Entsetzen. Er umklammerte Madeleine ein wenig fester, als er an den Zorn seiner Mutter dachte. Dann richtete er sich au£

»Ich hab's! Ich muss mir tatsächlich das Bein brechen! Ich werde von einem Pferd fallen, und dann muss ich nur noch jemanden finden, der Sophie von dieser verdammten Leiter holt und in mein Haus bringt. Dann sieht sie mit eigenen Augen meinen Gips und kann mir keinen Vorwurf mehr machen.«

Madeleine seufzte. Ihr englischer Lord brauchte wahrlich jemanden, der auf ihn Acht gab.

»Seien Sie doch nicht solch ein Schafskopf! Es ist gar nicht so einfach, sich das Bein brechen.«

»Doch, für mich schon«, erwiderte Braddon. »Ich habe mir das linke Bein gebrochen, als ich ein junger Kerl war, und der Arzt sagte mir, ich solle es vorsichtig angehen, da ich es mir im Handumdrehen wieder brechen könne. Ich muss also auf der linken Seite vom Pferd fallen und zusehen, dass das Bein dazwischen gerät, und dann ist es sicherlich gebrochen.«

Eine kalte Hand griff nach Madeleines Herzen. »Es würde wahrscheinlich nicht richtig heilen, und Sie müssten den Rest ihres Lebens humpeln. Dann wird Lady Sophie sie ganz bestimmt nicht mehr nehmen.«

»Glauben Sie?«

»Damen tanzen gerne«, sagte Madeleine mit der Überzeugung eines Menschen, der sich nicht einmal daran erinnern konnte, einer wahren Dame begegnet zu sein. »Keine Dame würde je einen Mann heiraten, der humpelt und nicht tanzen kann.«

»Oh.«

Madeleine entdeckte, sehr zu ihrem Unwillen, dass sie dem untröstlichen Ton in Braddons Stimme nicht widerstehen konnte. »Ich könnte Ihnen einen Gips anlegen«, schlug sie ihm vor.

»Wovon zum Teufel reden Sie?« Braddon hatte jeden Gedanken an die geplante Entführung beiseite geschoben und liebkoste Madeleines zartes Ohr mit den Lippen.

»Wir haben alles Notwendige hier ... für den Fall, dass eines der Pferde eine Schiene benötigt. Ich könnte Ihnen einen Gips machen, und jedermann wird glauben, dass Sie sich tatsächlich das Bein gebrochen haben.«

Braddon stieß einen Freudenschrei aus und drückte sie überschwänglich an sich. »Das ist meine Maddie!«

Als Madeleine ihm erschrocken den Kopf zuwandte und ihn hastig ermahnte, leiser zu sein, presste Braddon ungestüm seine Lippen auf ihre, und es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich daran machten, ihren Plan in die Tat umzusetzen.

Vierzig Minuten später hatte sie ihm, trotz seiner zaghaften Proteste wegen Kesgraves unabwendbarer Missbilligung, seine besten Hosen an der Seite aufgeschnitten und einen recht überzeugend wirkenden Gips am linken Unterschenkel angebracht.

Es war zu einer, wie Maddie fand, peinlichen Situation gekommen, als sich Braddon weigerte, ihr sein nacktes Bein zu zeigen und darauf bestand, die erste Schicht selber aufzutragen. Sie nahm jedoch Rache, indem sie ihm genug Gipsmaterial

auftrug, um das Bein eines Elefanten zu verarzten.

Als Braddon schließlich auf Madeleines Schulter gestützt aus dem Stall humpelte, war er beinah selber davon überzeugt, dass er sich das Bein verletzt hatte.

»Glauben Sie nicht, dass der Gips ein bisschen dick geraten ist?« Braddon betrachtete mit zweifelnder Miene den weißen Wulst, der sein Bein vom Knöchel bis zum Knie bedeckte.

»Oh nein«, versicherte Madeleine ihm. »Ihr Bein war sehr schlimm gebrochen. Wenn Sie ein Pferd wären, hätten wir Sie notschlachten müssen.«

Braddon warf dem jungen, der auf sein Pferd aufgepasst hatte, zwei Shilling zu. »Du bindest es besser im Stall an und rufst mir eine Droschke.«

Der junge betrachtete ihn neugierig. »Haben Sie sich verletzt, Milord?«

Braddon seufzte und warf ihm eine weitere Münze zu. »Die Droschke«, ermahnte er den Jungen.

»Kommt sofort, Milord.« Der Bursche rannte zur Straße und ließ das Pferd an einen Pfahl gebunden zurück.

»Ich hoffe doch, er wird sich später an mein Pferd erinnern«, sagte Braddon ohne große Überzeugung. Langsam humpelte er auf das Tor von Vincent's Pferdemarkt zu, wobei er seinen linken Stiefel mit spitzen Fingern in der einen Hand trug. Kesgrave würde ihn umbringen, wenn er den Stiefel mit Fettfingern beschmutzte, gebrochenes Bein hin oder her.

»Keine Sorge«, sagte Madeleine. »Ich werde Ihr Pferd retten.«

Braddon blickte liebevoll auf ihr weiches, zerzaustes Haar hinunter.

»Sie wissen, dass ich Sie liebe, nicht wahr?«

Madeleine blieb stehen und packte ihn am Arm. »Reden Sie nicht so! Was, wenn Papa Sie hört! Sie flüstern nicht einmal.«

Braddon zuckte die Achseln. »Ich bin ein verletzter Mann. Was kann er schon tun? Und es stimmt. Ich liebe Sie, Maddie.«

»Pah, Sie sind ein Lebemann!«, erwiderte Madeleine unhöflich. »Sie lieben mich nur, weil ich Ihren Forderungen nicht nachgegeben habe.« Sie waren inzwischen an der Straße angekommen und die Droschke wartete bereits mit geöffnetem Schlag.

Madeleine drehte sich um und wäre beinah ohne ein Wort des Abschieds gegangen. Da fiel ihr plötzlich etwas ein. »Sie müssen wieder herkommen, wenn Sie den Gips entfernen wollen. Es sei denn, Sie möchten Ihrem Diener sagen, dass es eine Täuschung war.«

»Nein!« Die bloße Vorstellung entsetzte Braddon maßlos. »Kesgrave ist ein alter bärbeißiger Bursche. Er würde den Witz an dieser Sache nicht sehen. Ich werde es niemandem sagen. Madeleine ...«

Das kurvenreiche, üppige Mädchen blieb stehen und drehte sich zu ihm um. Das weiche Sonnenlicht im Hof zauberte einen goldenen Schimmer auf ihr braunes Haar.

»Danke, dass Sie mir geholfen haben.«

Madeleine lächelte ihn mit einem Mal strahlend an. »Es geziemt sich schließlich für eine Kurtisane, die Heirat ihres Herrn zu vereiteln«, sagte sie. Dann lachte sie laut auf, als sie den empörten Ausdruck sah, der sich auf Braddons Zügen widerspiegelte.

»Sie sind nicht nur eine Kurtisane!«, protestierte er.

»Ich bin gar keine Kurtisane«, wies ihn Madeleine zurecht, drehte sich wieder um und verschwand schnell im Schatten des Stalles.

Von dort aus beobachtete sie Braddon, der ungelenk in die Droschke stieg und laut fluchte, als sein Gips laut gegen die Tür stieß. Zum Glück hatte er sich nicht wirklich das Bein gebrochen, denn dann hätte dieses kleine Missgeschick höllisch wehgetan.

Es fiel ihr schwer, nicht wehmütig zu werden während sie Braddon dabei zusah, wie er seinen

kräftigen Körper in die Mietkutsche quetschte. Das Leben als seine Geliebte wäre bestimmt himmlisch.

Dann schreckte Madeleine aus ihren Gedanken hoch. Die arme Gracie! Sie hatte sie einfach mitten beim Verarzten des Vorderbeins alleine gelassen.

Gracie war alles andere als arm dran. Die Stute hatte gerade den letzten Rest des Breis aufgeleckt, der für ihr Bein gedacht war, und als Madeleines Vater im Stall erschien, überschüttete seine Tochter das Tier gerade wütend mit einem Schwall Französisch.

02 - Heiße Nächte der Leidenschaft
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